Gassigeschichte,  Hund

Gassigeschichte #4 – Wer keinen perfekten Hund hat, sollte lieber zuhause bleiben!

Zugegeben diese Aussage ist recht provokant, aber leider erlebe ich immer wieder auf Spaziergängen mit Boerne oder auch im Internet, das manche Hundehalter genau so denken! Heute erreichte mich in meiner Facebook-Timeline der Beitrag einer Hundeschule, die genau 9 Regeln für den richtigen Spaziergang mit Hund vorschrieb. Ja genau! Vorschrieb! Da gibt es kein „es wäre nett, wenn…“, da gibt es nur klare Befehle, wie man sich mit seinem Hund zu verhalten hat. Ich war neugierig auf den Beitrag und klickte den Beitrag an. Das hätte ich besser gelassen, denn was ich dann gelesen habe, war meiner Meinung nach vollkommen überzogen.

Nur perfekte Hunde dürfen frei laufen!

So lautete eine Regel z.B., dass Hunde nur frei laufen dürfen, wenn sie zu 100 Prozent abrufbar sind. Zu 100 Prozent??? Wie kann denn ein Hund, ein Lebewesen, zu 100 Prozent „funktionieren“. Boerne hat immer mal wieder Tage, an denen er absolut keinen Bock auf gassigehen oder sonstige Unterhaltung hat. Da kann ich rufen, schreien, brüllen, mit Leckerchen rumfuchteln, springen, wegrennen, ihn anstubsen oder mich sonst wie zum Affen machen, er zuckt nichtmal mit der Wimper und schnüffelt in Ruhe weiter auf der Wiese rum. Er bekommt mich überhaupt nicht mit, reagiert kein Stück mehr auf mich.

Das sind dann so Tage, an denen ich ihn die meiste Zeit an der Leine lasse um ihn vor Gefahren zu schützen. Gehen wir aber an solchen Tagen durch ein Gebiet, in dem ich einen Überblick über das Gelände habe, lasse ich ihn auch frei. Bisher haben wir beide das immer gut überstanden, es gab keine Verletzten und wir sind zusammen nach Hause gekommen. 😉

Es gibt natürlich auch Tage (zum Glück in der Mehrzahl;-)), an denen Boerne wirklich gut drauf ist und sich freut, wenn ich ihn rufe. Aber auch an so guten Tagen, kann auf halber Strecke schonmal eine Duftspur interessanter sein als ich und dann bremst er auf dem Weg zu mir kurz ab, lässt sich ablenken um sich dann wenige Sekunden später daran zu erinnern, dass ich ihn ja gerufen habe und zu mir zu stürmen. Das zählt jetzt nicht zu perfektem Rückruf, oder? Die 100 Prozent kann ich somit knicken und laut dieser Regeln dürfte Boerne also eigentlich niemals frei laufen. Dumm gelaufen eben!

Ich finde, man sollte seinen Hund mit der Zeit kennenlernen und abschätzen können, wann man ihn bedenkenlos ableinen kann und wann nicht.

Nur perfekte Hunde dürfen an anderen Menschen vorbeigehen!

Der zweite Punkt, der mich ziemlich genervt hat bestand wieder aus einer 100 Prozent-Regel – diesmal sogar mit Ausrufezeichen dahinter! Scheint also besonders wichtig zu sein. Hier geht es um das Verhalten bei entgegenkommenden Menschen. Der Hund muss an die Leine oder kann beifuß gehen, aber nur wenn das Kommando zu 100% (!) sitzt und das Frauchen (oder Herrchen) muss dabei immer zwischen Hund und fremdem Mensch gehen. Sehr gute Idee, aber in der Praxis kann ich das leider so nicht umsetzen. Boerne kann ganz gut neben mir laufen. Sogar ohne Leine! 😉

Wenn uns Fußgänger entgegen kommen, leine ich Boerne an, weil ich ja nicht weiß, ob die Menschen vielleicht Angst vor Hunden haben. Und das ganze hat noch einen zweiten Grund. Boerne geht nur an der rechten Seite. Da kann ich machen was ich will! Er schafft es einfach nicht links von mir zu laufen. NIEMALS! Er muss rechts laufen, egal ob wir an einer Straße auf dem Bürgersteig spazieren gehen oder auf einem Feldweg. Boerne läuft nur rechts. Das war in Großbritannien mit Linksverkehr manchmal gar nicht so einfach für ihn. 😉 Menschen die uns also entgegen kommen, verstehen meist nicht, warum sie von ihrem Weg abweichen sollten, wenn wir ihnen begegnen. Und so kann ich mit Boerne an der Leine eben dafür sorgen, dass er sich zumindest auf die linke Seite setzt, so dass ich zwischen Fußgänger und Boerne noch Platz finden kann.

Auch diese 100 Prozent Regel gefällt mir nicht. Warum muss man das so übertrieben darstellen? Natürlich ist es toll, wenn Hunde nach belieben die Seiten wechseln und dabei beifuß laufen, ohne auch nur den leisesten Gedanken an die tolle Schnüffelstrecke zu verschwenden. Natürlich muss man Rücksicht nehmen, wenn einem Menschen entgegen kommen, aber weder Mensch noch Hund können jederzeit perfekt funktionierend durch die Gegend laufen. Das ist einfach total unrealistisch. Es kann immer mal einen möglichen Ausrutscher geben und schwups geht der Hund doch an der fremden Person schnüffeln.  Auch hier kann ich wieder nur sagen, dass jeder seinen Hund am besten kennt und weiß, wie er solche alltäglichen Situationen am besten meistern kann.

Auch perfekte Hunde dürfen niemals von fremden Menschen gefüttert werden!

Ja genau. Niemand füttert meinen Hund und ich füttere auch keine anderen Hunde. Das ist soweit eine gute „Regel“ der Hundeschule. Es gibt aber auch hier wieder Ausnahmen. Boerne kam als ängstlicher Hund zu uns und die ersten Monate waren Spaziergänge recht anstrengend. Sobald uns fremde Menschen begegneten, zuckte er zusammen und wollte nur noch weg – möglichst schnell und möglichst weit! Nach ein paar Begegnungen mit anderen Hundehaltern, die wahnsinnig Mitleid mit Boerne hatten, fragten sie, ob sie Boerne evtl. mal ein Leckerchen anbieten könnten um ihm die Angst ein bisschen zu nehmen. Und so kam es, dass mir diese fremden Menschen mit ihren Leckerchen geholfen haben.

Diese netten Leute fragten vorher nach und bekamen von mir die Erlaubnis es zu versuchen. Und es klappte tatsächlich mit viel Geduld! Boerne nahm ein Leckerchen aus der fremden Hand und wir waren alle wahnsinnig froh darüber. Das war mir eine so große Hilfe, den Angsthund an Menschen zu gewöhnen. Und trotzdem rennt er nicht zu jedem hin, bettelt und frisst allen aus der Hand. Aber er geht inzwischen ohne Angst an Menschen vorbei. Ein gewisser Abstand sollte natürlich da sein, aber er ist seitdem deutlich entspannter.

Mein Hund ist nicht perfekt! Und jetzt?

Ich finde es ziemlich traurig, dass diese Hundeschule solche Regeln aufgestellt hat. Liest man die Regeln, hat man das Gefühl, dass es keinen Hund auf der Welt geben kann, der so perfekt funktioniert. Aber vielleicht ist das auch einfach nur die perfekte Werbestrategie. Auf alle Punkte bin ich jetzt nicht eingegangen, auch wenn ich die anderen Punkte ebenfalls relativ kritisch bewerten würde. Natürlich sollte es Regeln im Umgang mit Hunden in der Öffentlichkeit geben. Aber jedes Tier ist anders und wenn man seinen Hund kennt und gleichzeitig Rücksicht auf andere Menschen und Hunde nimmt, braucht man diese Regeln nicht. Ein respektvoller Umgang sollte einfach selbstverständlich sein und ohne einen Regelkatalog funktionieren.

Wie seht ihr das denn? Gibt es für euch Dinge, die ihr anderen Hundebesitzern bei einer Begegnung auf keinen Fall verzeihen würdet? Oder sagt ihr euch, es kann jedem Mal passieren, dass ein Hund sich nicht wie gewünscht verhält?

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4 Kommentare

  • Melanie

    Hallo Steffi,

    wie schon angekündigt, nun meine Meinung dazu 🙂

    Die Frage, die sich mir stellt ist wie der Hund oder die Hunde die Situationen denn erlernen sollen, wenn sie draussen nicht zu 100% funktionieren.

    Klar ist Hundeschule super, aber was hilft es einem wenn der Hund zu 100% auf dem Platz funktioniert und im normalen Alltag mit den Situationen dann regelrecht überfordert ist?

    Tabu und ich machen quasi beides. Wir gehen 1x die Woche zum Training (das ist aber echt locker gehalten, sprich wir werden schon gefordert, aber es ist nie so das man mit einem „Gott sei Dank geschafft“ vom Platz geht). Der Rest besteht daraus, die aufkommenden Situationen auf den Gassirunden zu „meistern“.

    Du hast sehr schön geschrieben, das man seinen Hund kennenlernen und abschätzen können sollte. Sehe ich ebenso. Doch wie, wenn man es nicht „laufen lässt“?

    Ich würde Tabu persönlich jetzt im Freilauf nicht direkt neben den Bahnschienen oder der Straße losmachen, um zu testen ob der Rückruf klappt. Das setzt den normalen Menschenverstand ja voraus. Wir haben hier weitläufige Felder, bei denen ich sicherstellen kann, selbst wenn Tabu 100 Meter weg rennt, ihm nichts passieren kann. In der Regel dreht er sich dann auch um, schaut wo ich bin und kommt wieder zurück.

    An anderen Menschen vorbei, wenn der Hund zu 100% Fuß läuft? Nö! Mein Hund kann auch auch etwas vor oder hinter mir laufen, wenn wir an anderen vorbei gehen. Nur pöbeln ist nicht gern gesehen, daran arbeiten wir in 2 Fällen gerade dran.

    Ansonsten halte ich von der 100% Regel einfach mal gar nichts, denn wie du auch geschrieben hast ist der Hund ein Lebenwesen und keine Maschine.

    Wer eigentlich zu 100% funktionieren sollte ist der Halter, der nämlich die Aufgabe der Verantwortung und Sicherheit für den Hund zu gewährleisten hat. Ich denke, wenn Mensch mehr achtet und im Vorfeld reagiert, läufts auch mit dem Hund anders 🙂

    Liebe Grüße

    Melanie & Tabu

  • Isabella

    Ich finde es auch traurig, dass solche radikalen „Regeln“ aufgestellt werden – muss allerdings auch zugeben, dass sich in den letzten Jahren sehr viel im Verhalten mancher Hundehalter geändert hat. Ich habe leider oft das Gefühl, das Rücksichtnahme auf andere Menschen und Tiere für manchen Hundebesitzer nicht so wichtig sind, wie das Gefühl dem eigenen Hund alle Freiheiten zu genehmigen.

    Bei uns laufen die Hunde sehr viel an der Leine – was einem starken Jagdtrieb und der großen Hasenpopulation hier geschuldet ist … ich habe aber auch kein Problem damit, wenn andere Hundebesitzer das anders handhaben. Natürlich möchte ich ungern von anderen Hunden bei meiner Runde „gestört“ werden, aber wenn alles friedlich abläuft, dann ist mir auch das egal.
    Matschige Pfotenabdrücke auf meiner Kleidung (von fremden Hunden) finde ich zwar blöd – aber zu verzeihen. Wilde Kerle die einen auf dicke Hose machen und dann doch wieder abdrehen sind nicht toll – aber für mich ein Fall von „kann mal passieren“
    Ich habe nur ein Problem, wenn es zu ernsthaften Verletzungen kommt und ich dann auf einen uneinsichtigen Hundehalter treffe. Aussagen wie „der beist nur ganz selten wirklich zu“ treiben meinen Blutdruck enorm in die Höhe!

    Ich bin eigentlich auch nur für ein vernünftiges und auch rücksichtsvolles Miteinander … und voller Hoffnung, dass es mein Gegenüber auch ist.

    Liebe Grüße,
    Isabella mit Cara und Shadow

  • Julia

    Ich bin auch der Meinung das kein Hund zu 100% funktionieren kann. Es ist ein Lebewesen und keine Maschine, die ich mal eben repariere wenn was nicht passt.
    Wenn Odin einen Tag hat, an dem er komplett durch den Wind ist und einfach völlig überdreht, bleibt er an der Leine, weil ich weiß, dass er dann nur Blödsinn macht. Und wenn uns Leute unterkommen wird er angeleint oder muss Fuß gehen, weil er sonst der Meinung ist, jeden begrüßen zu müssen. Aber bei uns sind viele, vor allem ältere, Hunde unterwegs, die nie angeleint werden. Was ich auch völlig ok finde, da sich diese Hunde kein bisschen für andere Menschen oder Hunde interessieren. Die schnüffeln sich halt gemächlich den Weg entlang. Wozu sie dabei unterbrechen, nur weil etwas für sie Uninteressantes passiert?
    Wobei hier auch genug Leute überhaupt nicht abrufbare Hunde frei laufen lassen. Aber die darauf hinzuweisen, auch auf die Gefahr wenn mal wieder einer quer über die Straße auf uns zubrettert, hab ich aufgegeben. Ich leine Odin ab und gehe weiter. Dann wird sich kurz begrüßt und Odin läuft mir nach. Mich jedes Mal zu ärgern wäre mühsam. Eher amüsiere ich mich dann darüber, wenn sie versuchen ihre Hunde wieder einzufangen, die eher uns nachlaufen. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich in einem kleinen Ort wohne und alle Hunde hier kenne. Und die tut nixe sind zum Glück wirklich so und nicht auf Krach aus.
    Also ich seh das Ganze auch eher entspannt.
    Liebe Grüße,
    Julia mit Odin und Freya

  • Sandra & Shiva

    Arme arme Shiva… laut deren 100% Regeln müsste ich meinen Hund wohl komplett wegsperren. Sie KANN sogar bei Wild einen Rückruf. Sie KANN perfekt Fuß gehen. Sie KANN total entspannt an anderen Leuten vorbeigehen… Ja… sie KANN… aber sie macht es manchmal halt doch nicht. Schlechter Tag, doofer Wind oder was auch immer. Manchmal klappt halt nix und dann bleibt sie an der Schleppleine. Ich seh das entspannt. Je entspannter ich geworden bin, umso lockerer wurde mein Wildfang. Übrigens geht Shiva immer auf der abgewandten Seite. Kommt mir jemand rechts entgegen, wechselt sie von sich auf die andere Seite von mir. Das war ein hartes Stück Arbeit, aber mittlerweile hat sie kapiert, dass es von Vorteil ist „die Dicke“ zwischen sich und dem anderen zu haben. Ich kann so einiges abblocken.

    Fröhlich flauschige und unperfekte Grüße
    Sandra & Shiva

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