#5 Angsthund | Handfütterung als erste Hilfe
Heute möchte ich dir das Thema Handfütterung bei einem Angsthund oder auch einfach „nur“ ängstlichen Hund näher bringen. Egal, ob du deinen Hund aus dem Ausland zu dir geholt oder im Tierheim adoptiert hast. Sind die Vierbeiner schon etwas älter, dann bringen sie selbstverständlich ihre eigene Vorgeschichte mit und oftmals tauchen in dieser Vorgeschichte schlechte Erfahrungen mit Menschen auf. Hierbei kann euch die Handfütterung helfen, Vertrauen zum Hund aufzubauen und ihm die Angst vor euch ein Stück weit zu nehmen.
Ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass mir gar nicht so richtig klar war, um was für ein umstrittenes Thema es sich hier handelt. Es gibt tatsächlich Hundebesitzer, die eine Handfütterung nicht nur absolut ablehnen, sondern sogar der Meinung sind, dass es sich dabei um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetzt handelt und man seinen Hund tatsächlich quält. Als ich das in einer der Facebookgruppen, in denen ich Mitglied bin, gelesen habe, habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Nur weil ich meinen Hund aus den unterschiedlichsten Gründen mit der Hand füttere, heißt das ja nicht automatisch, dass ich meinen Vierbeiner quäle oder ihm in Teilen oder komplett das Essen vorenthalte.
Was ist diese Handfütterung eigentlich?
Unter Handfütterung versteht man ganz einfach, dass der Hund seine Mahlzeit in erster Linie aus der Hand des Herrchens oder Frauchens zu sich nimmt. Das kann im Haus in einem Rutsch erfolgen oder aber auch auf gemeinsamen Gassirunden. Manche Hunde bekommen das Futter „einfach“ so und andere Hunde wiederum müssen sich das Futter komplett erarbeiten. Auf diese Art und Weise kann man seinem Hund ein gewünschtes Verhalten antrainieren. In meinem Fall ist es, meinem Hund die Angst vor Menschen und einer fremden Umgebung – seinem neuen Zuhause – zu nehmen.
Was du hier genau fütterst ist eigentlich grundsätzlich egal. Empfehlen kann ich dir aber auf jeden Fall, dass Trockenfutter deine erste Wahl sein sollte. Nassfutter wird eine ziemliche Schweinerei mit sich bringen und dich selbst wahrscheinlich total unter Druck setzen, das ganze schnell hinter dich zu bringen, um die Masse endlich aus der Hand zu geben und auch den Geruch aus deinem Wohnzimmer zu bekommen.
Handfütterung bei einem Angsthund
Vor einiger Zeit habe ich euch schonmal 5 Tipps gegeben, wie ihr das Vertrauen zu eurem Angsthund aufbauen könnt. Und einer dieser Tipps lautet auf jeden Fall: „Handfütterung“! Denn ich bin der Meinung, dass es langfristig der einzige Weg ist, wie du eine gute Bindung zu deinem Angsthund aufbauen kannst. Boerne kommt – wie du sicher weißt – aus Rumänien und hat in seinen ersten beiden Lebensjahren nie gelernt mit Menschen zusammenzuleben. Und selbstverständlich hat er Angst. Angst vor Unbekanntem, Angst vor bestimmten Menschen oder Tieren sowie Angst vor verschiedenen Gegenständen und Geräuschen. Diese Angst verschwand dann auch nicht plötzlich, als er nach Deutschland kam und auf einmal in einem Haus mit Menschen zusammenleben musste. Er wusste nicht, dass wir ihm nur Gutes wollten und er bei uns ein schönes Hundeleben bekommen sollte.
Boerne war die ersten Tage bei uns total eingeschüchtert. Er hat sich kaum freiwillig bewegt, hat die ersten Tage nichts aus seinem Napf angerührt und war ansonsten nachtaktiv. Wenn wir geschlafen haben, hat er nach ein paar Tagen vorsichtig das Wohnzimmer erkundet. Dabei dann auch mal das Futter aus seinem Napf probiert. Nach einiger Zeit war uns dann aber klar, dass wir ihn aktiv aus seiner Angst raushelfen müssen. Erst dann könnte er richtig Vertrauen zu uns aufbauen. In Absprache mit einer Hundetrainerin haben wir uns dann für die Handfütterung entschieden. Bei einem Angsthund ist die Handfütterung nämlich absolut zu empfehlen. Aber auch bei schüchternen Hunden, die in ihrem vorherigen Zuhause schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben.
Aufbau der Handfütterung bei einem Angsthund
Zunächst haben wir uns für eine Fütterungszeit entschieden. Das war damals bei uns 20 Uhr am Abend, da die Wahrscheinlichkeit groß war, dass wir zu dieser Zeit einrichten konnten auch regelmäßig zuhause zu sein. Als Ort haben wir das Wohnzimmer festgelegt. Boerne hat hier von Anfang an sein Kissen und seinen Platz zugewiesen bekommen und daher erschien dieser Ort für uns genau richtig. Er konnte uns so von seinem sicheren Platz aus gut beobachten.
Erster Schritt
In den folgenden Wochen haben wir dann immer zur gleichen Zeit eine Futterspur durchs Wohnzimmer gelegt und uns ruhig auf die Couch gesetzt und Boerne gar nicht beachtet. Es hat die ersten Tage bestimmt eine Stunde oder länger gedauert, bis er sich getraut hat, das Futter zu nehmen, das unmittelbar in der Nähe seines Kissens lag. Das restliche Futter haben wir ihm liegen lassen und er hat es nachts gefressen, wenn im Haus alles ruhig war.
Zweiter Schritt
Nachdem er sich dann mit der Zeit – trotz unserer Anwesenheit – immer weiter im Raum vorgewagt hat, um sein Futter zu schnappen – sind wir zur nächsten Stufe übergegangen. Nun haben wir uns – mit großem Abstand zu seinem Platz – auf den Boden gesetzt und Futterspuren nach und nach immer weiter in unsere Richtung gelegt. Auch hier war es wieder sehr wichtig, dass wir Boerne dabei absolut ignoriert haben. Er konnte entscheiden, ob er auf uns zukommen wollte oder nicht.
Dieser Prozess kann übrigens sehr lange dauern und es ist wichtig, die Fütterung hier als Ritual zu festigen und immer zur gleichen Zeit zu füttern. Das passt oftmals nicht in den Alltag und am Anfang kann es sein, dass du über eine Stunde auf dem Boden sitzt und nichts passiert. „Nicht aufgeben!“ ist hier das Motto! Sollte die Fütterung mal absolut zeitlich nicht machbar sein, dann leg deinem Hund das Futter trotzdem aus. Dann sitzt du einmal nicht daneben, aber er muss immerhin den Raum erkunden. Am nächsten Tag machst du dann einfach ganz normal weiter.
Dritter und letzter Schritt
Du wirst merken, dass dein Vierbeiner immer weniger Zeit benötigt, um sich das Futter zu schnappen und auch immer mutiger wird. Das sind ganz kleine Minischritte, aber immerhin geht es weiter! Mit der Zeit kannst du dich immer näher an ihn ransetzen, bis du vielleicht 1,5 bis 2 Meter von seinem Platz entfernt bist. Das dauert und ggf. musst du auch mal wieder einen Schritt zurück machen, aber das ist ganz normal. Bist du in seiner Nähe, dann kannst du erst damit beginnen, die Futterspur zu dir zu legen und wenn sich dein Hund mehrere Tage hintereinander nah an dich heran traut, dann kannst du versuchen ihm zusätzlich ein bisschen vom Futter aus der Hand zu geben.
Dabei ist es wichtig, dass du deinem Hund gegenüber eine nicht dominante Haltung einnimmst und ihm nur die Hand hinhältst, ihn aber nicht anschaust. Kleiner Tipp am Rande: Suche dir eine bequeme Sitzposition aus, in der du deinen Arm (deine Hand) abstützen kannst. Am ausgestreckten Arm fängst du nämlich nach kurzer Zeit an rumzuhampeln – wenn du nicht gerade mega trainiert und sportlich bist – und das wird deinen Hund definitiv irritieren. Ich spreche da aus eigener Erfahrung.
Die Handfütterung einige Zeit aufrecht erhalten
Nimmt dein Hund das Futter aus deiner Hand, dann hast du schon sehr, sehr viel erreicht und zum Nehmen der Angst würde ich diese Handfütterung dann auch einige Zeit aufrecht erhalten. Du wirst bei all diesen kleinen Schritten merken, dass dein Hund immer weiter die Unsicherheit ablegt und schon bald merkt, dass er nicht mehr so große Angst vor dir (und vielleicht anderen Familienmitgliedern haben muss). Irgendwann kannst du dann dazu übergehen, erst ein bisschen aus der Hand zu füttern und danach den Rest im Napf zu servieren. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, kann ich dir leider nicht sagen. Das musst du ganz alleine herausfinden. Denn nur du weißt, wann dein Hund bereit dafür ist. Ich kann dir aber versichern: Du wirst es auf jeden Fall merken!
Dein Hund wir entspannter sein
Nach diesen Phasen der Handfütterung wirst du feststellen, dass dein Hund entspannter sein wird. Er bleibt liegen, wenn du dich im Raum bewegst, er wird schneller anfangen zu fressen und auch allgemein lockerer und aufmerksamer sein. Vielleicht sogar nachts mehr schlafen und sich dafür tagsüber in deinem Zuhause bewegen. Boerne ist einige Zeit nach der Handfütterung zum ersten Mal freiwillig auf uns zu gelaufen und wollte sich zu uns aufs Sofa setzen. Du glaubst nicht, wie sehr wir diesen Moment gefeiert haben. 🙂
Ich kann der Handfütterung nur Positives abgewinnen. Bei uns hat es ca. ein halbes Jahr gedauert, bis wir langsam wieder das Futter im Napf serviert haben. Und Boerne musste weder leiden, weil er nichts zu fressen bekam, noch leiden, weil er sein Futter teilweise vom Boden einsammeln musste. Hätten wir ihm sein Futter weiter von Anfang an im Napf serviert, hätte er diese Bindung auf keinen Fall zu uns aufbauen können. Von daher war das für uns die absolut richtige Entscheidung und ich kann dir nur den Tipp geben, es auch mal zu versuchen, wenn dein Hund dir gegenüber unsicher ist.
Im jetzigen Alltag muss Boerne sein Futter übrigens nicht erarbeiten. Er bekommt seine Portionen vorgesetzt und kann einfach drauf los fressen. Aber auch die Erarbeitung von Futter finde ich grundsätzlich nicht verwerflich. Beim Angsthund ist die Handfütterung meiner Meinung nach, eine sehr große Hilfe für ein glückliches Zusammenleben.
Aber jetzt interessiert mich mal, was du von der Handfütterung hältst? Hast du es schon ausprobiert? Findest du bei einem Angsthund die Handfütterung in Ordnung? Oder bist du grundsätzlich dagegen, und warum?